Erinnerungen eines Feldkircher Gymnasiasten (1939-1947)

Erinnerungen eines Feldkircher Gymnasiasten (1939-1947) - Schulzeit unter den Bedingungen einer Diktatur". (Festrede von Univ.-Prof. Dr. Gert Mähr v/o Castor, Rt-D, am 97. Stiftungsfest einer KMV Clunia Feldkirch am 10.12. 2005).
 Zeitschrift Couleur (Seiten 15 und 24/25)

Das 97. Stiftungsfest war ein großartiges Fest. Höhepunkt war der Festkommers am 10. Dezember 2005 im voll besetzten Rittersaal der Schattenburg.
 Fotoalbum  Presseaussendung  VN-Heimat

 

Festrede Univ.-Prof. Dr. Gert Mähr v/o Castor, Rt-D:

Erinnerungen eines Feldkircher Gymnasiasten (1939-1947)

Schulzeit unter den Bedingungen einer Diktatur

(Festrede am 97. Stiftungsfest einer KMV Clunia Feldkirch am 10.12. 2005)

 

 

Hohes Präsidium, lieber Kartell- und Bundesgeschwister,

liebe Clunierinnen und Clunier,

liebe Anwesende!

 

„Festrede“  - ist eine Rede zu einem festlichen Anlass, sei es ein Geburtstag, ein Jubiläum, eine Gründung, ein Stiftungsfest. Wenn ich heute bei euch eine „Rede“ halte oder ganz einfach „rede“, so ist dies keine Fest-, sondern eine Gedenkrede, eine Erinnerung an eine Zeit, die vor 60 Jahren zu Ende war, eine Zeit, die bedrohlich und für viele tödlich war. Eine Zeit, die auch am Bundesgymnasium Feldkirch, ehemals Oberschule für Jungen, ihre Spuren hinterließ. Zurückblickend war es eine relativ kurze Zeitspanne von 1938- 1945, die unser Land betraf.

 

Jugend:

„Zukunft des ewigen Dritten Reiches

Stolz der Nation

Garant des reinrassigen Germanentums

Im Zuge von Volk und Raum Germanisierung des rassisch minderwertigen Ostens

Ihr Beitrag zum Erreichen des Endsieges“

 

Unter solchen und ähnlichen Slogans erfolgte der „Aufbruch“ in den 30er-Jahren in Deutschland. Eine raffiniert angelegte Propagandamaschinerie betörte und begeisterte anfangs die Jugendlichen. Was als jugendliches Abenteuer begann, endete vielfach dann mit dem Tode auf dem Schlachtfeld.

 

Diese Jugend war bezeichnend auf ihr Idol Adolf Hitler – den „Führer“ – zentriert,

daher der Name Hitler-Jugend (HJ).

 

Da ich wie alle meine Mitschüler dieser HJ automatisch angehörte, möchte ich dieses Umfeld meiner persönlichen Geschichte voranstellen.

 

Die Gründung der HJ erfolgte Anfang 1925, als Hitler gerade aus der Festungshaft Landsberg 1923 entlassen wurde. Die Anfänge der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) lagen bereits, wie der Name sagt, im proletarischen Milieu. 1926 wurde die Hitlerjugend der SA (= Sturmabteilung, Braunhemden) unterstellt. Ab 1930 trat ein sprunghafter Anstieg der Nationalsozialisten ein, wobei sie zur größten Partei in Deutschland anwuchsen. Die Mitglieder der Hitlerjugend rekrutierten sich zunehmend aus der Oberschicht und den Gymnasiasten, im Hinblick auf bessere Aufstiegsmöglichkeiten in Industrie und Verwaltung. 1931 übernahm Reichsjugendführer Baldur von Schirach (ab 1940 Gauleiter in Wien) die Führung der Parteijugend. Die Mitgliederzahl betrug 35.000. 1932 waren es bereits 100.000 beim Reichsjugendtag in Potsdam. 1933 2,3 Millionen, 1936 5,4 Millionen.

 

Anfang 1939 waren 98 % der deutschen Jugend in der HJ organisiert. Ab 25.3.1939 wurden die Jahrgänge zwangsweise in die HJ integriert. Die höchste Mitgliederrate war nun bei Gymnasiasten, während die niedrigste bei Berufsschulen zu verzeichnen war. Die Strukturierung war: 10 - 14-jährige: Jungvolk („Pimpfe“), 14 – 18-jährige: Hitlerjungen. Von 1943 bis 45 waren ungefähr 200.000 als Flakhelfer im Kriegseinsatz.

 

Bezeichnend und bemerkenswert ist, dass bereits 1932 sich Clunia in einem Grundsatz-Beschluss vom Nationalsozialismus distanziert hatte.

 

Nahezu gleichzeitig erfolgte auch die Organisation für die Mädchen. 1934 wurde der Bund deutscher Mädel (BdM) gegründet, bereits mit 7.000 Mitgliedern, die vorwiegend in der Landwirtschaft im Einsatz waren. 1937 waren es 43.000, 1938 wurde das Pflichtjahr im Bauernhof oder im Haushalt eingeführt. Die Mädchen trugen olivgrüne Uniformen mit Hut, was allerdings nicht beliebt war. Ansonsten war die Kleidung: blauer Rock, weiße Bluse, schwarzes Halstuch mit Lederknoten. Anschließend wurden die Mädchen im Reichs-arbeitsdienst (RAD) eingesetzt, wiederum für Hausarbeit, Stallarbeit, Feldarbeit und 1941 im Rüstungsbetrieb, als Kriegshilfsdienst vorwiegend als Telefonistinnen und Funkerinnen. Bemerkenswert, dass etwa 3.000 BdM-Mädchen SS-Helferinnen und Aufseherinnen in Konzentrationslagern waren. Eine besondere Stellung nahm das BdM-Werk „Glaube und Schönheit“ ein. Es handelte sich um etwa 20-jährige, äußerst gut gewachsene, blonde, blauäugige germanische Typen, die bevorzugt Sport betrieben – Tennis, Reiten, Fechten – und die eigentlich ausersehen waren, das reinrassige Germanentum weiterzuvererben. Kinder waren erwünscht, auch ledige, die dann in den „Lebensborn-Anstalten“ der SS erzogen wurden, aber direkte „Zuchtanstalten“, wie vielfach behauptet wurde, gab es jedoch nicht. Die ganze Erziehung der Mädchen war aber unter dem Gesichtswinkel der Eugenik als Rassenpflege gedacht. Es sollten Elite-Frauen als Partner für SS-Führer herangezogen werden, die besonders in dem eroberten Osten, in dem es keine Juden mehr gäbe und die Slawen als Sklaven existierten, die nordische „reine Rasse“ aufbauen. Als „Wahrerinnen“ deutschen Blutes, deutscher Kultur, deutscher Art und Sitte.

 

Raffiniert wurde die Jugend für die Bewegung rekrutiert und motiviert. Wie gelang dies eigentlich?

 

Uniformen begeistern immer: blaue oder schwarze Manchesterhosen, braune Hemden, Schulterriemen, Fahrtenmesser, Fahnenaufmärsche, Fanfaren- und Trommelzüge.

In der Freizeit Wandern, zelten, Lieder, okkultartige Aktivitäten, Abenteuer, Gemeinschaftserleben in Lesungen (Heldensagen, Germanentum).


Vermittlung von Freiheit von altmodischen Eltern, Tabus durch Erziehung, Tradition in Familie und Kirche wurden beiseite geschoben - Freie Erziehung und Kontakt zu Mädchen.

 

Der Jugend wurde ein ungeheures Sport-Angebot vermittelt. Insbesondere Fechten, Schwimmen und Boxen waren die bevorzugten Sportarten. Es fanden Sportwettkämpfe statt mit Siegerehrungen, mit Verleihung von Siegernadeln, die größte Auszeichnung war natürlich ein Reichssieger.

 

Unterschiedliche Sportarten:  Marine-HJ, Flieger-HJ, Reiter-HJ, Nachrichten-HJ, Motor-HJ, Musikkader wurden gegründet. Auch der Schießsport wurde gefördert. Die 10 – 14-jährigen mit Luftgewehr, ab 14 mit Kleinkaliber.

 

So war es nicht verwunderlich, dass bereits 1933 die „Bekennende Kirche“ Pastor Niemöllers geschlossen der HJ beigetreten ist. Nicht uninteressant, dass als „Nebenerfolg“ dieser freiheitlichen Erziehung 1935 bei einer Konfirmation in Mannheim von 15 – 16-jährigen BdM-Mädchen alle 25 schwanger gewesen sind. Niemand realisierte, dass das alles als vormilitärische Erziehung ausgerichtet war, um dem Heer gut ausgebildeten Nachwuchs liefern zu können.

 

Es erfolgten Ernte-Einsätze im Rahmen von „Blut und Boden“, besonders in Pommern, immer wieder im Hinblick auf die Eroberung des Ostens, Kinderlandverschickungen fanden statt.

 

Als Spezial-Schulen wurden die Adolf-Hitler-Schulen als so genannte Parteiordensburgen eingerichtet. 1938 gab es zehn solcher Schulen. Weitere Spezial-Einheiten: die NAPOLA (Nationalpolitische Erziehungsanstalt der SS), alles Internatschulen für die Elite.

 

„Unsere Fahne flattert uns voran,

wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not,

mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot“

(Baldur von Schirach).

 

Auch die Situation des Elternhauses begünstigte die positive Einstellung zur „neuen Partei“. Eltern und Lehrer bekamen bessere Berufsaussichten, die Arbeitslosigkeit war hoch, es wurden Autobahnen gebaut, „Kraft durch Freude“, Volksempfänger (Radio), Volkswagen. Es wurde die staatliche Kranken- und Pensionsversicherung eingeführt. Der arbeitslosen Akademiker nahm sich der NS-Studentenbund an.

 

Während des Krieges an der „Heimatfront“ wurden Kleidersammlung, Kräutersammlungen, Pilzsammlungen durchgeführt.

 

Unbegreiflich war es allerdings, wie dann schlussendlich noch 10 – 16-jährige Hitlerjungen im letzten Abwehrkampf mit Panzerfäusten fanatisch blind ihr Leben aufs Spiel setzten.

 

Vereinzelt gab es auch Widerstände. Dissidenten, zahlenmäßig jedoch unbedeutend, die oft rasch und brutal von der Gestapo verfolgt wurden. Aufmüpfigkeit wurde geahndet mit Strafexerzieren. So bedeutet die dreimalige Abwesenheit von Versammlungen am Wochenende Einsperren im Polizeikotter bei Wasser und Brot, keine Zulassung zu Reifeprüfungen und Hochschulstudium.

 

Die größte Strafe bedeutete der Ausschluss aus der Hitlerjugend.

 

So waren wir alle automatisch auch aus Familien, die absolut nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun hatten, einfach Hitlerjungen.

 

Kurz zur Geschichte der HJ in Vorarlberg:

Die erste Gründung einer NS-Ortsgruppe erfolgte bereits am 21.10.1922! 1930 wurde die HJ nominell gegründet. Der Gründer war Otto Weber (1910-1984) aus Bregenz, ein Realschüler und deutscher Staatsbürger. Der zweite Mann war Hans Österle aus Dornbirn.1933 wurden bereits regelmäßig Samstag und Sonntag- „Wanderschulungen“ durchgeführt, in Bregenz waren bereits 25 Jugendliche aktive Mitglieder.

 

Trotz Parteiverbot erfolgte ein systematischer weiterer Ausbau der Hitlerjugend. Als Geburtstätte von SA, SS, NSKK usw. fungierte Dornbirn, bereits in der Verbotszeit ab 1933.

Bei nächtlichen Schmuggelfahrten von Lindau in die Mehrerau wurden Säcke von Zeitungen, Flugblättern usw. nach Vorarlberg gebracht. Ebenfalls 1934 wurde der BdM gegründet. Während der Verbotszeit wurden massive illegale Aktivitäten durchgeführt. 1938 waren bereits österreichweit anscheinend 35.000 aktive Hitlerjungen. Beim Einmarsch des deutschen Heeres 1938 am 11. März waren somit sämtliche Parteiorganisationen komplett präsent. In diesem Jahr wurde die alte Führungsschicht abgelöst. Hauptbannführer Österle war für Tirol und Vorarlberg zuständig. Drei Banne wurden gegründet – Bregenz, Dornbirn und Bludenz.

 

Bemerkenswert auch, dass 1938 die erste Hitlerjugend-Führerschule der Ostmark in Andelsbuch gegründet wurde.

 

Nachdem ich kürzlich drei Fortsetzungssendungen „Gestapo“ in 3Sat gesehen hatte, war die Gefahr größer, als man sie damals eingeschätzt hatte. War bereits das Anhören der neuen, aus Amerika importierten Jazz-Musik „Swing“ staatspolitisch gefährlich und wurde bereits von der Gestapo überwacht.

 

Die persönliche Biographie:

Zu Schulbeginn September 1943, 5. Klasse, stieß zu uns ein Bub namens Schlüter, der vor den Bombenangriffen aus Köln zu seinen Verwandten nach Feldkirch geflüchtet war.

 

An einem Vormittag wurden englische Flugzettel über Feldkirch abgeworfen. Etliche fanden sich im Hof und während der 10-Uhr-Pause haben wir im hinte­ren Winkel des Gymnasialhofes zwischen der Druckerei Sausgruber (heute Druckerei Kaindl) und Stadtmauer diese Zettel gefunden und natürlich interes­siert gelesen, was für uns ein Novum, für Schlüter ein bekanntes Phänomen war, was er auch entsprechend kommentierte.

 

Nach einiger Zeit kam plötzlich vormittags von der Kreisleitung Dornbirn Kreisamtsleiter Reiter während des Unterrichtes in unsere Klasse und hielt uns eine Standpauke über dieses politische Verbrechen, dass wir diese Zettel, ohne sie zu lesen, nicht sofort vernichtet hätten. Er prophezeite uns eine düstere Zukunft bei einem evtl.. Sieg des Feindes. Auch ich wurde über meine berufliche Zukunftspläne befragt, wobei ich in meiner bekannt lässigen Haltung mich mit beiden Händen auf die Bank stützte - für einen strammen Hitlerjungen eine unmögliche Haltung gegenüber einem Parteifunktionär in SA-Uniform. Er fragte mich dann, was ich in Leibeserziehung für eine Note hätte, was ich mit „Sehr Gut" beantworten musste, er mir jedoch ein "Nicht genügend" zuteilte, worauf Othmar Tiefenthaler (später Clunia-Feldkirch) von hinten rief: „Gon mer in Hof und zoag ems ordentlich!" Dann war diese Lehrstunde beendet.

 

Es war klar, dass der Sohn von Landrat und SS-Sturmbannführer Pflauder in unserer Klasse diese Sache angezettelt hatte, wofür er auch bei der nächsten Turnstunde im Umkleideraum der Turnhalle versohlt und anschließend in den „Klassenbann“ getan wurde. So herrschte Zwietracht in unserer Klasse.

 

Unser Klassenvorstand, Prof. Guido Burtscher (Spitzname „Kotlett"), der über seinen Sohn Raimund über die Lage informiert war, versuchte eine friedvolle Versöhnung. Die Lage verschärfte sich jedoch, als Erich Ess aus der Parallel­klasse anlässlich des Zusammenbruches des Bündnisses mit Italien Pflauder als „Badoglio" beschimpfte.

 

Schlüter wurde inzwischen von der Anstalt verwiesen. Bald danach traf mit einer Postkarte die Nachricht ein, dass er als Hitlerjunge im Einsatz bei einem Bombenangriff in Köln ums Leben gekommen wäre. Diese Nachricht hat uns natürlich sehr bestürzt, Heinrich Morscher (später Pfarrer in Koblach und auch Clunier), veran­lasste sofort eine Sammlung für Kranzspenden. Bevor diese jedoch realisiert werden konnte, sickerte durch, dass die Nachricht fingiert war und die Postkarte in Feldkirch abgestempelt und Schlüter am Leben war. Es konnte nie geklärt werden, von wem und wie diese Postkartenaktion gestartet wurde. Nachforschungen nach dem Zusammenbruch blieben ergebnislos.

 

An einem Novemberabend wurde die Klasse mit den Eltern in den Zeichensaal berufen. Direktor und Klassenvorstand sowie die Parteigrößen aus Dornbirn teilten uns mit, dass diese Klasse als Unruhestifterin bekannt sei und vorderhand drei  Proponenten: Mähr Gert, Othmar Tiefenthaler und Erich Ess von der Anstalt verwiesen und mit einem Studienverbot im Gau Tirol-Vorarlberg belegt werden.

 

Prof. Burtscher wurde strafweise nach Dornbirn versetzt. Sollte keine Ruhe eintreten, wäre als nächste Maßnahme vorgesehen, die gesamte Klasse aufzu­lösen. So zog ich mit meinen Eltern an dem trüben Novemberabend nach Hause.    

 

Die Reaktion der Schule war, dass mein Lateinlehrer, dessen Lieblingsschüler ich war, am nächsten Tag sich äußerte: Gott sei Dank, ist dieses Schwein nicht mehr in unserer Klasse. Eine ähnliche Stellungnahme kam von unserem Geschichts- und Geographielehrer. Einzig Musiklehrer Robert Briem hatte in der Konferenz den Mut, mir die Stange zu halten, die anderen schwiegen.

So war ich nun beschäftigungslos. Als Dirigent des HJ-Orchesters wurde ich ebenfalls sofort entlassen. Der Schock saß nicht allzu tief, da meine Familie nie an den Endsieg geglaubt hatte. Ich übte stundenlang Klavier, ging zu den Jesuiten auf die Carina, studierte fleißig bei Pater Rauchenberger Latein und bei Pater Leibenguth begann ich mit Griechisch. Nachts um 21 Uhr konnte ich bei Dunkelheit zu  Prof. Protas(ius)  Heinrich (Urphilister der Vindelicia München seit 1902, Bandphilister der Ferdinandea Prag und Ehrenmitglied der Clunia Feldkirch) in die Neustadt, um Mathematik zu lernen.

 

Es kann nichts so schlecht sein, dass es nicht etwas gutes bringt. Ich war wehrunwürdig, bliebt somit von der Einberufung zur Heimatflak verschont. Othmar Tiefenthaler wurde in einer Oberrealschule in München aufgenommen. Ess durfte in der Realschule Dornbirn weiterstudieren durch die Beziehungen seiner Familie.

 

Zu Schulbeginn Herbst 1944 wurde ich von der Schule benachrichtigt, dass ich um eine Wiederaufnahme ansuchen könnte. Diese Begnadigung wurde mir anscheinend von Verwandten, die der Partei sehr nahestanden, ohne unser Wissen vermittelt. Diese Geschichte war bis Berlin durchgedrungen, wobei erschwerend für mich war, dass ich während der ganzen Kriegszeit in der Johanneskirche den Morgengottesdienst mit der Orgel begleitete. Ich ging zu Direktor Eccher, lehnte aber eine Wiederaufnahme ab, da ich mit „dieser Schule nichts mehr zu tun hätte.“ Ich konnte nur noch rasch zur Tür hinaus, da mir bereits ein Buch wegen meiner Unverschämtheit nachflog.

 

Das Kriegsende nahte. Einer Einberufung zum Volkssturm in den letzten Kriegswochen hatte ich dann nicht mehr folge geleistet, mich gleichzeitig unsichtbar gemacht und die letzten Tage heimlich den Feindsender gehört und sehnsüchtig den Einmarsch der Franzosen erwartet.

 

Ich machte nach dem Krieg die Aufnahmeprüfung in die siebente Klasse und legte die Matura 1947 mit Auszeichnung ab.

 

Ich hoffe, ich konnte euch einen gewissen Einblick in die damalige politische Situation der Schule mit ihren Schülern geben. Wenn heute von jungen Historikern unserer Generation fehlender Widerstand, Mitläuferschuld usw. angelastet wird, muss entgegengehalten werden, dass die Mitgliedschaft zur HJ zwangsweise automatisch erfolgte. So quasi Alibi-Mitgliedschaften waren Motor-HJ, Reiter-HJ und Musikkorps als weitestgehend unpolitisch. Offener Widerstand war lebensgefährlich. Ein Appell an euch: Studierende Jugend prüft verlockende ideologische Angebote bevor Ihr Gefolgschaft leistet.

 

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