95. Stiftungsfest
Berichte zum 6. und 7. Dezember 2003
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CLF-Archiv:
Clunia auf "Staatsbesuch"
Wo sich andere hineinwählen lassen müssen, fährt Clunia einfach mit
dem Bus hin: Ein Besuch im Liechtensteiner Landtag wurde zum „internationalen
Highlight“ des Stiftungsfestes.
Schon das Mittagessen war fürstlich. Mit Köstlichkeiten vom Feinsten
gesättigt, machten sich die Teilnehmer der „Reise“ nach Liechtenstein
mit Reiseleiter Gerold Konzett v. Dr. Plus anschließend auf den Weg ins
Nachbarland. Unterwegs klärte Uli Nachbaur v. Dr. Snorre über Historisches
und Aktuelles zum Land zwischen Vorarlberg und dem Rhein auf.
In der Hauptstadt Vaduz angekommen, parkte sich der Clunia-Bus vor dem
dortigen Landhaus ein. Nach wenigen Minuten fanden sich „österreichs Botschafter
in Couleur“ im Sitzungssaal des Landtages wieder und durften Abgeordneten-Luft
schnuppern. Regierungschef Otmar Hasler bereitete dem Publikum einen herzlichen
Empfang und erzählte aus Liechtensteins Geschichte und Gegenwart. „Begonnen“
hat alles im Jahre 1719, als das Land reichsunmittelbares Fürstentum wurde
und 1806 nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches seine Souveränität
erlangte.
Dass sich Liechtenstein seither als Kleinstaat behaupten konnte, ist für
Hasler fast ebenso selbstverständlich wie für ihn die Entstehung von Kleinstaaten
kein Zufall ist. Gerade auch in Zeiten der Globalisierung sei es für einen
Kleinstaat besonders wichtig, auf der außenpolitischen Bühne stark vertreten
zu sein. So wendet das Fürstentum 1,7 Prozent des Budgets für Außenpolitik
auf, weitere 3,7 Prozent für bestimmte Bereiche wie Entwicklungspolitik.
Auch Liechtenstein war auf dem Mond
Die für einen Kleinstaat besonders große Bedeutung einer guten
Vertretung im Ausland zeigte Hasler an Hand der außenwirtschaftlichen
Verflechtung auf. 95 bis 99 Prozent der in Liechtenstein erzeugten Güter
gehen in den Export. Obwohl in Zollunion mit der Schweiz, geht Liechtenstein
selbstbewusst seinen eigenen Weg. Deshalb hat es sich, anders als sein
Nachbar, auch für den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)
entschieden und sich damit den Zugang zum Binnenmarkt der Europäischen
Union gesichert.
Liechtenstein zeigt sich als hochindustrialisiertes Land, das mit Spitzenprodukten
punkten könne, die unter anderem in der Raumfahrt Verwendung fänden. Mit
anderen Worten: Auch Liechtenstein war schon auf dem Mond! Die allgemeine
Wahrnehmung als Finanzplatz korrigierte Hasler mit Hinweis auf die Beschäftigtenstruktur:
45 Prozent arbeiten in Industrie und Gewerbe, während der Finanzdienstleistungssektor
nur 20 Prozent ausmacht. Insgesamt stehen in Liechtenstein bei 34.000
Einwohnern 28.000 Arbeitsplätze zur Verfügung. 13.000 Pendler, die täglich
zur Arbeit ins Land kommen, tragen ihren Teil zum Wohlstand bei, 7.000
davon kommen aus Vorarlberg. Mit einer Arbeitslosenquote von zwei Prozent
- das entspricht 600 Arbeitslosen - liegt Liechtenstein zwar für seine
eigenen Verhältnisse zur Zeit eher schlecht, im internationalen Vergleich
aber sehr gut. „Wenn gejammert wird, dann auf hohem Niveau“, sagt Hasler.
Im Anschluss an den Vortrag durfte das Publikum von den Abgeordneten-Sesseln
aus das tun, was sonst der Opposition vorbehalten ist: den Regierungschef
mit Fragen löchern, was denn auch rege getan wurde. Dabei ist „harte“
Opposition in Liechtenstein gar nicht so üblich. Bis vor acht Jahren wurde
gemeinsam regiert - und konsequenterweise auch gemeinsam Opposition gemacht.
Das Modell wurde liebevoll „Ko-Opposition“ getauft.
Im Vordergrund des Interesses standen Fragen nach der politischen Struktur.
Liechtensteins politische Landschaft ist weitgehend unter der „Vaterländischen
Union“ und der „Fortschrittlichen Bürgerpartei“ aufgeteilt. Beide sind
bürgerliche Parteien. Daneben gibt es noch die Grünen, die hierzulande
als „Weiße“ bezeichnet werden, aber für die Mehrheitsbildung nicht ausschlaggebend
sind.
Als die verfassungsrechtliche Besonderheit schlechthin hob Hasler die
monarchische Regierungsform - einzigartig auf deutschsprachigem Boden
- hervor, die dem Land auch seine ganz besondere Prägung gebe. In der
Praxis äußere sich dies darin, dass die Souveränität auf zwei Pfeilern
stehe, dem Fürsten und dem Landtag. Beide müssen sich einig sein, dass
sich etwas bewegt. Eine Institution wie den Bundesrat gibt es zwar nicht,
die Gemeindevorsteher der elf Gemeinden genössen aber eine Stellung, die
ihnen die Möglichkeit zur Einflussnahme gebe.
Stark ausgeprägt seien auch die direktdemokratischen Elemente. Es genügen
1.000 Unterschriften, damit binnen fünf Monaten ein Referendum stattfinden
kann - das gegebenenfalls Beschlüsse des Landtages wieder aushebeln kann.
Manche Augenbraue - vor allem bei den weiblichen Besuchern - ging dagegen
hoch, als erwähnt wurde, dass Frauen erst seit etwa 15 Jahren gleiches
Stimmrecht wie Männer genießen. Hasler vergaß nicht darauf hinzuweisen,
dass seine Gemeinde in dieser Frage Vorreiter gewesen sei und sich sehr
früh für die Mitbestimmung der Frauen eingesetzt habe. Dem gleichen Wahlrecht
auf Landesebene ist die Einführung des Frauenwahlrechts in einzelnen Gemeinden
vorausgegangen.
Was die Verwaltung angeht, steht eine Regierung mit fünf Regierungsräten
und fünf Ressorts an der Spitze. Rund 700 Beamte halten den Verwaltungsbetrieb
aufrecht. Die Polizei umfasst inklusive Verwaltung 100 Mann, wovon 70
bis 80 „echten“ Polizeidienst verrichten. Es handelt sich dabei, wie Hasler
feststellte, um ein in den letzten Jahren bereits stark aufgestocktes
Kontingent an Sicherheitswachebeamten. Angesichts der moderaten Kriminalitätsrate
würden auch nicht mehr gebraucht. Für den einzelnen Bedarf wie etwa einem
Fußballmatch leiht man sich einfach vorübergehend Hilfe aus St. Gallen
und Vorarlberg.
Verteidigung von Hand
Verteidigungspolitisch fürchtet sich Liechtenstein vor seinen Nachbarn
Schweiz und österreich nicht und hat folgerichtig auch kein Militär, ja
nicht einmal eine Bewaffnung. „Wenn wir uns verteidigen wollten, müssten
wir das ohne Waffen tun“, so Hasler. Aus dem letzten Krieg seien aber
ohnehin zwei Leute mehr zurückgekommen als Liechtenstein in die Schlacht
geschickt hatte. Ein Soldat hatte in der Ferne kurzerhand Arbeitskräfte
angeworben, die er nach dem Krieg mit nach Hause brachte. Auch das sei
ein Grund gewesen, warum Liechtenstein vom Kriegführen nichts mehr wissen
wollte, wäre das kleine Land mit einer solcherart gesteigerten Zuwandererquote
doch heillos überfordert gewesen, fügte er ironisch hinzu.
Und wann tritt Liechtenstein der Europäischen Union bei? „Das hängt davon
ab, wann sie uns haben will“, antwortet Hasler und dämpft die Erwartungen
auf einen baldigen Beitritt: Die Institutionen der EU seien für ein so
kleines Land eine Nummer zu groß - um alle Positionen in Brüssel zu besetzen,
müsste er einen Großteil der Bevölkerung hinschicken, meint er mit einem
Lächeln. Für Liechtenstein gehe es darum, in einzelnen Bereichen mitmachen
zu können, wo es von Vorteil sei. So ist mittelfristig eine Teilnahme
am Schengener System der offenen Grenzen in Europa angepeilt. Ein Wechsel
vom Franken zum Euro sei nicht angedacht, da die Zoll- und Währungsunion
mit der Schweiz gut funktioniere. Gerade vor diesem Hintergrund hänge
die weitere Entwicklung auch davon ab, wie die Eidgenossenschaft ihre
künftige Europapolitik gestalten will.
Nach der Fragestunde lud Hasler noch zu einem Buffet und stand zum persönlichen
Gespräch zur Verfügung. Den Teilnehmern wird dieser Samstag Nachmittag
als äußerst positives und erfrischendes Beispiel in Sachen Bürgernähe
in Erinnerung bleiben.
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